Der Beihilfen-Navigator lebt den more economic approach

Juristen und Ökonomen reden beim Beihilfen-Navigator nicht übereinander, auch nicht aneinander vorbei, sondern praktizieren den vom ehemaligen Bundesbankpräsidenten Dr. Weidmann bereits vor Jahren bei der Juristischen Studiengesellschaft eingeforderten regen und fruchtbaren Austausch.

Beihilfengeber und -begünstigte benötigen ökonomischen und juristischen Sachverstand, auch wenn der more economic approach im Beihilfenrecht, den die Europäische Kommission seit den Wettbewerbskommissaren Monti und Kroes verfolgt, bereits mehrfach totgesagt wurde. Spätestens seit dem Urteil des EuGH in der Rechtssache Hinkley Point (C-594/18 P) fühlen sich viele Juristen darin bestärkt, da sich die Prüfung der Vereinbarkeit einer Beihilfe mit dem Binnenmarkt auf drei Voraussetzungen beschränkt: die Entwicklung gewisser Wirtschaftszweige oder Wirtschaftsgebiete muss durch die Beihilfe gefördert werden, die Beihilfe darf die Handelsbedingungen nicht in einer Weise verändern, die dem Gemeinsamen Interesse zuwiderläuft und die positiven Auswirkungen der Beihilfe müssen gegenüber den negativen Auswirkungen auf Wettbewerb und Handel überwiegen. Für die Betrachtung des Marktversagens als Voraussetzung für die Genehmigung einer Beihilfe, die die Kommissionspraxis fast 20 Jahre prägte, soll es demnach keinen Raum mehr geben. Die Betrachtung des Marktversagens unter Einsatz ökonomischen Sachverstands ist aber weiter erforderlich, versteckt sich jetzt nur in der Abwägung zwischen positiven und negativen Effekten der Beihilfe. Nur wenn der Markt die politisch gewünschten Ergebnisse ohne die Beihilfe nicht liefert, können die positiven Effekte der Beihilfe ihre negativen übersteigen. Zu dieser Erkenntnis kam der EuGH bereits 1980 in dem Urteil Philip Morris (730/79). Wenn die Marktkräfte ohne staatliche Intervention eine ausreichende Weiterentwicklung des Wirtschaftszweigs oder des Wirtschaftsgebiets gewährleisteten, kann eine Beihilfe nicht genehmigt werden.

Die Kommission schafft aber über das Thema Marktversagen hinaus immer wieder neue Felder der Zusammenarbeit von Juristen und Ökonomen, sowohl im Notifizierungsverfahren als auch bei der Inanspruchnahme von Freistellungstatbeständen. Es gilt, den Market Economy Operator Test durchzuführen, Finanzierungslücken und die Betriebsgewinne aus Investitionen zu berechnen, Überkompensationen auszuschließen, geeignete Abzinsungssätze festzulegen oder einen zukunftsgerichteten Betafaktor zu finden. Schon die Begrifflichkeiten stimmen nicht mit dem überein, was der Jurist meint, in seiner BWL-Einführungsvorlesung gelernt zu haben. Jedenfalls muss er im Beihilferecht mit Wirtschaftsdaten der nächsten Jahre oder Jahrzehnte umgehen, was dem Juristen ohne die ökonomische Glaskugel und ihre Herrscher kaum möglich ist.

Der Beihilfen-Navigator steht bereit, auch den Juristen durch die Untiefen des more economic approach lotsen.

Autor: Christoph von Donat, Müller-Wrede & Partner